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EuGH stellt DRM-Systeme in Frage

Der EuGH hat in seiner „Nintendo“-Entscheidung (Urt. v. 23.01.2014, C-355/12) die bereits für Software in der „Usedsoft“-Entscheidung (Urt. v. 03.07.2012, C-128/11) aufgezeigten Grundsätze zur nutzerfreundlichen Auslegung des EU-Rechts für Videospiele bestärkt.

Hiernach ist bei der Beurteilung der Frage, ob die Umgehung („das Knacken“) eines DRM-Systems verboten ist, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Vom Schutzzweck des Art. 6 Abs. 2 Rili erfasst seien nur „Vorrichtungen“ oder „Handlungen“, die der Begehung von Urheberrechtsverletzungen dienen, aber nicht solche, die darüber hinaus den redlichen Benutzer bei der Ausübung seiner Nutzungsrechte behindern sollen. Die Gerichte der Mitgliedsstaaten müssen fortan im Einzelfall prüfen, ob ein DRM-System – vereinfacht gesagt – nur Raubkopien verhindern will oder die Lizenz beispielsweise an ein einzelnes Gerät bindet.

Brisanter Zusammenhang beider Urteile

Aufgrund der Usedsoft-Entscheidung ist davon auszugehen, daß die Gerichte der Mitgliedsstaaten zukünftig fast jede Softwareüberlassung auf Dauer gegen Einmalentgelt als „Kauf“ ansehen, bei dem die Weitergabe der Software nicht untersagt werden kann. Falls dabei ein DRM-System zum Einsatz kommt, durfte dieses jedenfalls nach deutschen Recht bisher nicht umgangen werden, weil man davon ausging, daß der Schutz des § 69 f UrhG bzw. § 95 UrhG stärker als das Recht zur Weitergabe (Verbreitung) war. Mit der Nintendo-Entscheidung könnte sich dies ändern, denn die Gerichte müssen zukünftig auch prüfen, ob ein DRM-System in erster Linie die Nutzung der Software (unter Löschung der Ursprungskopie) auf einem anderen, eigenen Gerät oder auch die Weitergabe verhindern soll. Das Interesse am Schutz gegen Piraterie muss daher fortan mit den berechtigten Interessen der Nutzer in die Waagschale geworfen werden.

RA Witte: „Der EuGH hat klargestellt, daß DRM-Systeme in solchen Fällen zur Überprüfung der Löschung der Ursprungskopie eingesetzt werden dürfen. Daraus und im Kontext der Entscheidungen ist jedoch zu schließen, daß sie in vielen anderen Fällen über ihr Ziel hinausschiessen und den Nutzer nur in der Ausübung seiner Rechte behindern. Genau dies will der EuGH nicht hinnehmen und bestätigt nun in der Nintendo-Entscheidung, daß Nutzer zur Wahrung ihrer Rechte unverhältnismäßige und damit rechtswidrige DRM-Systeme überwinden dürfen. Sollte sich diese Auffassung durchsetzen, ist damit zu rechnen, daß der Einsatz von DRM-Systemen zur Behinderung der Nutzer rechtswidrig ist und den Herstellern untersagt werden darf“.

Selbsthilferecht oder sogar Recht auf Verbot des DRM-Systems?

In solchen Fällen könnte zukünftig die AGB-mäßige Beschränkung eines Nutzungsrechts auf ein Gerät (CPU-License), wie sie beispielsweise bei Apple-In-App-Käufen üblich ist, gemeinsam mit dem zum Einsatz kommenden DRM-System im EU-Raum illegal werden. Die Verwendung rechtswidriger AGB ist zudem im Deutschen Recht wettbewerbswidrig, so daß viele Unternehmen, die in AGB derartige Lizenzbeschränkungen durchsetzen wollen, mit Unterlassungsklagen zu rechnen haben. Ausserdem dürfte der Vertrieb und die Nutzung von Geräten zur Umgehung eines Kopierschutzes, selbst wenn dieser als „wirksam“ betrachtet werden muss,  nicht mehr generell rechtswidrig sein. Völlig offen ist auch, wie die Gerichte die Beweislast verteilen. Wer ein Selbsthilferecht in Anspruch, muss dessen Voraussetzungen üblicherweise auch beweisen.  Umgekehrt wissen oft nur die Hersteller um die genaue Funktionsweise des DRM-Systems und die Pirateriezahlen bescheid. Hier könnten Grundsätze zur Beweiserleichterung zum Einsatz kommen.

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